Der Nicht-Provokateur

Auf Empfehlung von normanno schlage ich mir gerade die Nacht um die Ohren und habe die Beckmann-Sendung zu Ende geschaut.

Zuallererst: Woher weiß die ganze Welt, dass Herr Sarrazin ein Provokateur ist? Ich habe ihn heute im Fernsehen das erste Mal gesehen, und wäre auf den Fake-Blog sicher nicht reingefallen, wenn ich das vorher gesehen hätte. Herr Sarrazin hat kein Problem, klare, pointierte Worte zu verwenden, aber er zeigt wenig Emotionen, und hat scheinbar auch keine große Freude daran, wenn seine Gesprächspartner große Emotionen zeigen (was ein Provokateur aber herbeizuführen versucht). Vom Typ her ist dieser Mann vielleicht Beamter, aber kein Provokateur oder Demagoge.

Problembeschreibung oder Lösungsansatz

Herr Sarrazin wird vorgeworfen, nur Probleme zu benennen, und keine Lösungsansätze zu präsentieren:

Frau Kühnast: Trotzdem schade um die schöne Zeit, weil, die Unterscheidung die Herr Sarrazin macht, die Muslime, die Juden, die Christen, die Katholiken, die Evangelen, das ist doch keine Größe, die uns politisch weiterhilft.

Frau Kühnast: Er sucht die Provokation, also kriegt er ’ne Antwort, aber noch schöner wäre, wir würden uns nicht damit beschäftigen, sondern mit der Problemlösung.

Frau Özkan: Herr Sarrazin lebt von Analyse, wir merken es, wir hören nur noch Zahlen. Und eben haben wir es deutlich gehört auch, dass wir den Menschen – und in dem Fall wirklich den Menschen mit Migrationshintergrund – in die Mitte stellen und sagen: Es geht um die.

Frau Özkan: Aber sie sollten aufhören mit dem Polarisierenden, weil Sie machen denen nicht Mut, die auf diesem Weg sich in den letzten 5, 6 Jahren tatsächlich mutig nach vorne bewegen.

Dürfen ab sofort nur noch Bücher mit Problemlösungen geschrieben werden für Probleme, über die man keine Bücher schreiben darf? Darf man nur noch Dinge ansprechen, wenn jemand damit Mut gemacht wird? Werden Bücher ab sofort zensiert, wenn sie keinen Trost spenden?

Wissenschaftliche Basis

Herr Sarrazins zentrale Aussage, über die sich alle maßlos aufregen, ist, dass sich Mitbürger mit türkischem oder muslimischen Hintergrund nicht so schnell integrieren, wie die Gesamtheit der Bürger mit Migrationshintergrund. Dabei stützt er sich auf allgemein anerkannte statistische Quellen, und niemand in der Sendung konnte dagegen etwas Substantielles einwenden, außer dass gewisse Bevölkerungsteile sich dadurch verletzt fühlen.

Herr Yogeshwar: Letztes Jahr feierte Herr Darwin 200-jähriges. Es gab genügend Wissenschaftler – da sage ich nur etwas – da würde ich an ihrer Stelle vorsichtig sein, denn da gehen sie in die Arena von Fachleuten rein, und die sagen, dass Ihre Unterteilungen heute einfach nicht mehr gehen. Das müssen Sie auch seriöser Weise, wenn sie seriös sein wollen oder bleiben wollen, dürfen Sie das nicht sagen.

Wenn man schon auf die „Arena der Fachleute“ verweisen muss (ist das eine Art Drohung?), dann kann man auch einfach sagen: Glaubt den Guten, nicht den Bösen. Und dass die „Unterteilungen heute einfach nicht mehr gehen“ ist für jemanden, der es gewohnt ist, wissenschaftliche Zusammenhänge verständlich darzustellen, ein Armutszeugnis. Scheinbar ist es doch nicht so einfach, denn sonst hätte Herr Yogeshwar das auch spielend leicht erklären können.

Die Moralkeule

Ein Zuschauer hat Herrn Sarrazin per Email fragen lassen, wieviel er von dem Geld, was er mit dem Buch verdient, für die Migranten mit Problem spenden wird. Herr Sarrazin antwortete geistesgegenwärtig, dass er es dem Leser gerne sagen werde, wenn dieser ihm offenlege, wieviel seines Gehaltes er spende.

Frau Künast: Gehts Ihnen eigentlich um die Sache, oder nur darum, irgendwie als Provokateur und angeblicher Tabubrecher dazustehen? Wissen Sie, bei Ihnen habe ich das Gefühl, sie gehen nachts mit dem Jahresbuch des Bundesamts für Statistik ins Bett, die tragen Sie dann vor. Aber in Ihnen selber, deshalb verstehe ich das Ausschlussverfahren, in Ihnen selber brennt nicht dieses Ding, alle Menschen sind gleich, alle haben das Recht, sich zu entfalten. Wie man nach dem ganzen Tohuwabohu sagt „ich weiß nicht, ob ich das Geld spende“ verstehe ich ehrlich nicht. Menschlich schäbig, weil Sie haben ja genug Geld.

Nicht zu spenden ist menschlich schäbig? Ich würde gerne mal Frau Künasts Gehaltszettel sehen und den Teil wissen, den sie für Migranten spendet.

Die Bildung

Herr Sarrazin: Ich bin für maximale Bildung, das muss ich sagen.

Dann ein Dialog zwischen Frau Özkan und Herrn Sarrazin:

Frau Özkan: Was soll eine Abiturientin denken, die heute Sie so hört, mit Migrationshintergrund? Soll sie sagen: Ich bin nicht gewünscht in diesem Land, soll ich ausreisen? Oder was wollen Sie eigentlich damit bezwecken?
Herr Sarrazin: Ich freue mich über jede Abiturientin mit Migrationshintergrund. Ich bin begeistert darüber.
Frau Özkan: Ich möchte mit den jungen Menschen gestalten, Deutschland, die Zukunft gestalten, und ich möchte niemanden ausgrenzen.
Herr Sarrazin: Will ich auch nicht.

Klingt so ein Provokateur? Warum kann man Herrn Sarrazin nicht einfach beim Wort nehmen? Er hat nie gesagt, dass man nicht in Bildung investieren solle, weil Teile der Bevölkerung aufgrund ihrer Gene zu dumm seien, und deshalb auch die Bildung nichts mehr nütze.

Warum will man ihn denn dann als solchen sehen, obwohl man sich darüber aufregt?

Die Gefühle

In der Sendung wurde viel über Gefühle, Verletzung und Entmutigung seitens der Migranten geredet.

Herr Sarrazin: Frau Künast, Thilo Sarrazin besteht zum allerkleinsten Teil aus Zahlen, sondern zu einem erheblichen Teilen aus anderen Interessen, zu einem Stück auch aus also Emotionen. Dieses Buch habe ich nicht geschrieben, weil ich ein Zahlenfreak wäre, und jeder, der es gelesen hat, weiß das auch.

Das sind die Worte eines Mannes, dem es nicht leicht fällt, Emotionen auszudrücken. Wer aber genau hinhört, hört die Stimme seiner Emotion: Dieses Buch war mir wichtig, es hat mich viel gekostet, und mir ist Deutschland nicht egal. Und es schmerzt mich, als Zahlenfreak abgestempelt zu werden.

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3 Kommentare zu Der Nicht-Provokateur

  1. HAL9000 sagt:

    Wenn ich das alles, was ich über Herrn Sarrazins Buch, das ich bislang wegen Lieferschwierigkeiten noch immer nicht gelesen habe/lesen durfte, geht es in diesem Buche darum, dass sich Thilo über Menschen aufregt und diese offen kritisiert, die sich hinstellen und sagen:

    Jetzt sind wir hier, nun integriert uns, in dem ihr

    1.) …
    2.) …
    3.) …
    4.) …
    5.) …
    6.) …
    7.) …
    8.) …
    9.) …

    tut, damit wir weiter unseren Traditionen folgen können. Ihr wolltet uns hier haben, das habt ihr jetzt davon!

    Passt Euch uns an, und Euch wird es gut gehen, denn Allah ist gutmütig und großherzig.
    Tut Ihr es nicht, dann ….

    So kommt es mir vor. Schon in den 80er Jahren des letzten Jahrtausends wurden ALDI-Kassiererinnen dort, wo ich damals lebte, von 7-Jahrigen „Passdeutschen“ als „ungläubige Hündin“ beschimpft – sie zahlten mit einem „grünen 5-DM-Schein und meinten, auf einen 20-DM-Schein herausbekommen zu müssen.

    Aber dieses Ereignis ist mein „Privatvergnügen“, wollte es nur mal angebracht haben – die „Jungs“ sind heute ca. 30 Jahre älter. Ob ca. 30 Jahre „klüger“ vermag ich weder zu beurteilen noch anzuzweifeln.

  2. Immanuel sagt:

    @HAL9000: Deine Intuition bezüglich des Buchs von Herrn Sarrazin ist nicht so falsch. In dem Buch regt er sich aber eigentlich nicht auf, und die Kritik ist auch nicht allzu offen. Er sagt eigentlich nur, dass die langsamere Integration eben teilweise auf eine Verweigerungshaltung zurückgeführt werden kann. Aber das ist wohl für die deutsche Öffentlichkeit schon viel zu viel des Guten.

    PS: Ist meine kleine Korrektur an deinem Kommentar so, wie du sie gewünscht hast?

  3. HAL9000 sagt:

    Du hast es gelesen, und wie ersich in der Öffentlichkeit darstellt, regt er sich sicherlich nicht auf, sonder nschildert das , was eigentlich niemand hören/sehen/fühlen will:

    FAKTEN.

    Wie hieß der Kleine, der immer „raus“ ist? Hoegger, richtig?
    Er hat die Fragestellung ständig ferkeat(!) verstanden, flcash interpretiert und war „raus“.

    Auch Herrn Sarrazin kocht sein Brain 2.0, seine Frau und andere Berater haben sicherlich die ein oder andere Formulierung abgeschwächt.

    > Er sagt eigentlich nur, dass die langsamere Integration eben teilweise
    > auf eine Verweigerungshaltung zurückgeführt werden kann.

    Und genau das ist ssein Verbrechen. Er nennt die Dinge beim Namen. Oh Allah, hätte er doch die sechs Mill …, er wäre sofort diskreditiert worden. Nein, er sprach nachvollziehbare statt erwiesener Tatsachen an.

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