Reflexion

Nehmen wir ein System von endlich abzählbaren wahren Aussagen an. Jede Aussage hat also eine natürliche Zahl zugeordnet, so dass ich die Menge {1, 2, 3, 4 …} als Aussage 1, Aussage 2, Aussage 3 … interpretieren kann.

Es gibt einen Satz an Regeln, nach denen zwei oder mehr Aussagen in Beziehung gesetzt  und auf Widerspruchsfreiheit untersucht werden können. Wenn ich also zwei wahre Aussagen nach den Regeln des Systems in Beziehung bringe, darf nicht eine falsche Aussage entstehen.

Das Beispiel mit dem Schimmel, der sowohl Pferd als auch Klavier sein kann1 passt hier ganz gut. Die beiden Einzelaussagen für sich sind wahr, bringt man sie in Beziehung entsteht jedoch eine falsche Aussage („ein Pferd ist ein Klavier“).

Um also zu überprüfen, ob ein System sich wirklich an seine Spielregeln hält, müsste man alle Teilmengen an Aussagen auf ihr Verhältnis zueinander prüfen. Bei einer überschaubaren Menge M von drei Aussagen {1, 2, 3} müssten also auch die Mengen {1, 2},  {1, 3} und {2, 3} sowie {1}, {2} und {3} untersucht werden. Streng genommen ist auch die leere Menge {} eine Teilmenge jeder nicht-leeren Menge, so dass wir auf 8 zu untersuchende Mengen kommen. Die zu untersuchende Menge ist also eine Menge von Teilmengen, so dass sie als {{}, {1}, {2}, {3}, {1, 2}, {1, 3}, {2, 3}, {1, 2, 3}} geschrieben werden kann.

In der Mathematik nennt man die Menge aller Teilmengen einer Menge X die Potenzmenge P(X). Sobald über ein System reflektiert wird, beschäftigt man sich mit der prinzipiellen Aussagekraft und damit Potenz des Systems, indem man die Potenzmenge betrachtet. An unserem Beispiel mit drei Aussagen sehen wir, dass die Mächtigkeit von M drei ist (|M| = 3), die Mächtigkeit der Potenzmenge von M aber 9 ist (|P(M)| = 9). Dies stimmt mit der allgemeinen Mächtigkeit der Potenzmenge für endliche Mengen überein:

|P(X)|=2|X|

Die Anzahl der Atome im Weltall beträgt etwa 2265. Das bedeutet, dass die vollständige Reflexion über ein System mit 265 Aussagen in etwa der Suche nach einem ganz bestimmten Atom im Weltall entspricht. Insofern ist es intuitiv leicht verständlich, dass für unendliche Mengen Folgendes für die Mächtigkeit der Potenzmenge gilt:

|X| < |P(X)|

Wenn man für die Menge X die natürlichen Zahlen ℕ einsetzt, so erhält man: |ℕ| < |P(ℕ)|. Und eine Menge, die mächtiger als die natürlichen Zahlen ist, ist überabzählbar unendlich (|ℝ|). Und damit führt die Reflexion über ein widerspruchfreies System (also ein formales abzählbar unendliches System) zwangsläufig aus dem System heraus (was einem Dimensionsübergang von einer niedrigeren zu einer höheren Dimension entspricht).

Damit können wir die schon im vorherigen Artikel „Widerspruchsfreiheit“ begonnene Eigenschaftsliste von widerspruchsfreien System ergänzen:

  1. Durch Reflexion führt jedes widerspruchsfreie System automatisch in ein mächtigeres, umfassendes System.
  2. Ein widerspruchsfreies System kann sich nur solange absolut setzen („ich bin wahr, die anderen sind falsch“), solange es nicht beginnt zu reflektieren.

Gleichzeitig sind wir jetzt in der Lage, Aussagen über die mächtigeren, überabzählbar unendlichen Systeme zu machen:

  1. Ein überabzählbares System entzieht sich der abzählbaren Reflexion.
  2. Der Begriff der Widerspruchsfreiheit kann nur für endlich abzählbare Systeme angewendet werden und ist daher für ein überabzählbares System bedeutungslos.
  3. Es kann nur ein überabzählbares System geben, da es die höchste Mächtigkeit besitzt und damit allumfassend ist. Gäbe es zwei überabzählbare Systeme, so wären sie vollständig identisch, damit ununterscheidbar und doch nur eins.
  4. Jedes widerspruchsfreie System führt in das eine überabzählbare System, weshalb dieses vollständig ist, weil es alle widerspruchsfreien Systeme enthält. Gödels Unvollständigkeitssatz gilt nur für formale, endlich abzählbare Systeme, weswegen die Vollständigkeit des überabzählbaren Systems nicht zu Gödels Satz im Widerspruch steht.

Intuitiv könnte man sagen, dass das überabzählbare System abzählbar unendlich viele Dimensionen enthält (widerspruchsfreie Systeme), und dadurch überabzählbar wird, dass es die Reflexion über all diese Dimensionen darstellt und sie in Verbindung bringt. An diesem Punkt verschmelzen die abzählbaren Systeme mit dem einen überabzählbaren, ohne ihr ursprüngliches Wesen zu verlieren. Genau so, wie die Menge aller Zahlen zum Zahlenstrahl (dem 1-Dimensionalen) verschmilzt, ohne dass ihr ausdehnungsloses 0-dimensionales Wesen dadurch verändert wird.


Fußnoten:

  1. Vom Schimmelpilz ganz zu schweigen, der wiederum sowohl schädlich als auch wohlschmeckend sein kann.
Dieser Beitrag wurde unter Komplexitätstheorie veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*